Kloster Jerichow – ein Kleinod der Backsteinromanik nahe der Elbe
Nur ein paar Kilometer vom links der Elbe liegenden Tangermünde entfernt erhebt sich die Stiftskirche St. Marien und St. Nikolaus als ferne Silhouette. Als eine leise und gleichzeitig doch unerlässliche Einladung. Jenseits der Elbe. Im Mittelalter weit entfernt, musste der Strom doch erst mühsam überquert werden. Mit der modernen Brücke nördlich von Tangermünde geht es hingegen ganz schnell, bis sich die Stiftsgebäude und der Kirchenbau mehr und mehr in seinen Einzelheiten aus dem Horizont herausschälen.
Das Stift, vor allem die Stiftskirche sind atemberaubend. Durch die klare, vollständige Struktur einer spätromanischen Basilika sowie durch die noch beinah vollständig erhaltenen Klostergebäude. Es handelt sich bei dieser wunderbar erhaltenen Anlage um einen der ältesten Backsteinbauten in Norddeutschland. Mit Ausnahme der Türme und der Westfassade aus der Mitte des 13. Jahrhunderts handelt es sich bei diesem Kirchenbau um eine flachgedeckte spätromanische Pfeilerbasilika, die im Wesentlichen bis zum Jahr 1172 fertiggestellt wurde.
Genau genommen ist Jerichow kein (Mönchs-)Kloster, sondern ein weltliches Chorherrenstift der Prämonstratenser, des größten römisch-katholischen Ordens sog. regulierter Chorherren. In einem solchen Stift lebten Säkularkanoniker nach den Regeln des hl. Augustinus von Hippo, eines im Jahr 430 verstorbenen Kirchenlehrers in Numidien (Nordafrika). Neben Hieronymus, Ambrosius von Mailand und Papst Gregor dem Großen gilt dieser als einer der vier größten Kirchenlehrer der Spätantike.
Das geistliche Leben fand im Stift Jerichow sein Ende im 16. Jahrhundert, als es nach der Reformation aufgehoben wurde. Zwar kehrten die Prämonstratenser im Jahr 1621 für drei Jahre zurück; im Dreißjährigen Krieg wurden die Stiftsgebäude jedoch verwüstet. 1680 wurde das Chorherrenstift kurbrandenburgische Domaine. Die nach und nach verfallende Anlage wurde im Verlaufe der Zeit mehrfach restauriert, zunächst die Kirche im Jahr 1685 und letztmalig dann 1955 und 1960. 2004 wurde die Stiftung „Kloster Jerichow“ gegründet, mittels derer die zergliederten Besitztümer des ehemaligen Chorherrenstifts wieder zusammengebracht wurden.
Wenn man die Säulenbasilika mit Krypta, Querhaus und dreiteiligem Chor betritt und wenn mit ein wenig Glück kaum weitere Besucher anwesend sind, nehmen die unerhörte Ruhe, die Gelassenheit des Raumes, die Selbstverständlich von Größe und Länge des Baus sowie die perfekte Ausgewogenheit der Linienführung den Betrachter oder die Betrachterin gefangen. Führen ihn oder sie zurück auf sich selbst. Es ist wie ein leiser Klangkörper in perfekter Harmonie. Die Kargheit der Ausstattung unterstützt das Leuchten des Backsteins, wenn das Sonnenlicht schräg in den Kirchenraum einfällt, und die lichte Öffnung des Hauptchores, in dem die Apsis den Blick über das Zusammenspiel von Schatten und Licht aus dem Raum führt. Bevor dieser wieder zurückkehrt, an den Säulen entlang das Rot der perfekt ausgeführten Backsteintechnik aufnimmt und zum Betrachter oder zur Betrachterin selbst zurückführt.
Jürgen van Buer, im November 2020