Spektakulär. Atemberaubend.

Wenn man/frau auf der Puente Nuevo steht und über die Landschaft schaut, fühlt man/frau sich dem Himmel ganz nah. Und wenn man/frau sich über die Brüstung beugt und in den Tajo de Ronda blickt, in die so abgrundtiefe Schlucht hinein, dann kribbelt es ein wenig im Bauch.

Die Lage der Stadt hoch auf dem Felsplateau ist überwältigend. Nicht nur, wenn man/frau auf der Neuen Brücke steht und die Blicke auf Wanderschaft gehen. Auch die beiden anderen Brücken, die Puente Vejo und die Puente Árabe, laden dazu ein, die Gedanken und Gefühle zwischen dem tiefen Abgrund und dem Himmel einfach fliegen zu lassen. Der Gang durch die Altstadt, La Ciudad, fängt die Gedanken wieder ein. Bringt sie dem Herzen zurück. Mit den leichten Farben des sonnendurchfluteten Lichts und dem sattem Dunkel des tiefen Schatten. Mit den vielen, vielleicht auch nebensächlich scheinenden Dingen. Sie laden ein zum Stehenbleiben, zum Sich-Freuen  ob all der kleineren und größeren Schönheiten dieser Stadt. In ihrer Ausgabe vom 06. April 2014 nennt die WELT Ronda ein „stilles Wunder in Andalusiens Hinterland“ (https://www.welt.de/reise/nah/article126584789/Ronda-stilles-Wunder-in-Andalusiens-Hinterland.html).

Doch still war die Geschichte der Stadt eigentlich nicht. Sie wird dies erst langsam, in sehr langen Schritten, nach dem Abschluss der Reconquista, der christlichen Rückeroberung Spaniens, die mit dem Fall Granadas im Jahr 1492 endet. Nach der Schlacht bei Navas de Tolosa, in der andalusischen Provinz von Jaén, im Jahr 1212, die die Mauren verloren, wurde Ronda Grenzstadt des nasridischen Königreichs von Granada. Mit der Eroberung durch Ferdinand II., genannt El Católico,  im Jahr 1485 endet die seit 713 andauernde maurische Geschichte der Stadt. In den Jahren danach erfolgt eine massive Umgestaltung – die Moscheen werden abgerissen und mit christlichen Kirchen überbaut, auf der anderen Seite des Tajo wird ein neues Stadtviertel errichtet, El Mercadillo. 1580 führt ein Erdbeben zu schweren Verwüstungen, so dass viele Gebäude erst aus der Zeit danach stammen. Die nächsten Zerstörungen fügen die napoleonischen  Truppen Joseph Bonapartes der Stadt zu – die Burg und Teile der Festungsmauern werden gesprengt. 1936 erobern Francos Putschisten  die Stadt; die in der Stadt verbliebenen Republikaner werden erschossen. Blut hat diese Stadt eben auch geprägt. Nicht nur die Leichtigkeit der beinah schwebenden Lage hoch auf dem Felsen.

In den letzten Jahrzehnten entwickelt sich Ronda als eine kleine ruhige Provinzstadt. Erschüttert allerdings  von den vielen Touristen, die von der Costa del Sol für ein paar Stunden einfallen, um sich dann wieder duldsam, vielleicht auch lustvoll dem bräunenden Brand auf ihrer Haut zu widmen.

Wenn man/frau auf der Puente Nuevo steht und die Blicke und Gedanken wandern lässt, wird das Herz frei. Es ist, als verdichte sich die Geschichte dieser sehr alten Stadt, des Arunda der Römer, beinah spielerisch in der Schönheit der Landschaft. Wie eine grandiose Bühne breitet sie sich vor den Zuschauer*innen aus. Scheint sich in der feinen Struktur dieser kleinen Stadt zu spiegeln.

Ein kurzer Tagesbesuch mit all seinem en passant ist da beinah wie eine Beleidigung. Wenn das nervöse Ach-das-muss-ich-auch-noch-Sehen des Tages die Stadt verlassen hat, finden die kleinen Straßen der Altstadt wieder zu sich. Die abendliche Ruhe mit ihrer aufkommenden Kühle der späten Stunde verändert die Farben der Stadt zu einem Gemälde, das überzogen ist von dem nachgedunkelten Firnis seiner Geschichte. 

Jürgen van Buer

Ronda – die Stadt auf dem Felsen