Stralsund – Hansestadt an den Toren Rügens
Spätestens seitdem die neue Brücke an Stralsund vorbei über den Strelasund direkt nach Rügen führt, wo sich die Urlauber*innen ihre Erholung an Strand und Meer und möglichst bei Sonne erhoffen, manchmal auch Naturerlebnisse per Fuß erwandert oder mit dem Fahrrad erobert, ist Stralsund auch ein Vorbeifahr-Ort geworden. Es sei denn, man oder frau haben sie direkt im Visier, z. B. wegen des dortigen 2008 eröffneten Ozeaneums, einer faszinierenden Schau über das, was sonst den schnellen Meeres- und Strandblicken weitgehend verborgen bliebt. Was aber auch ein eindringlicher Verweis auf das ist, was wir dieser Welt zumuten – Vermüllung, Zerstörung.
Zunächst ein wendisches Fischerdorf mit dem Namen Stralow, über das so gut wie nichts Genaueres bekannt ist, beginnt die Geschichte Stralsunds eigentlich im Jahr 1234: Hier wurde dem Ort, der bis dahin wohl ein Anlegeplatz für am Heringhandel interessierten Kaufleute war, das lübesche Stadtrecht verliehen. Nach 1295 entwickelt sich die Stadt dann nach Lübeck zu einer der führenden Hansestädte im Ostseeraum.
Städtebaulich zeigt sich dies auf beeindruckende Weise. Und zeugt auch von dem Wohlstand, den Stralsund schnell aufbauen konnte: so sind in kurzer Folge Klostergründungen, der Bau der St. Nikolaikirche, kurze Zeit später derjenige der St. Marienkirche oder auch die Erweiterung der Stadt um den Neuen Markt herum als „Neustadt“ zu verzeichnen. Allerdings sind auch schwere Rivalitäten zwischen Lübeck und Stralsund zu vermelden: Im Jahr 1249 überfällt die Lübecker Flotte die Stadt und macht sie beinah dem Erdboden gleich. Gleichwohl erholt diese sich schnell; die St. Jakobikirche wird gebaut, 1370 wird hier der „Stralsunder Frieden“ geschlossen. Ein Vertrag, der gemeinhin als der Höhepunkt der Hanse gewertet wird. 1525 wird die Reformation in Stralsund abgeschlossen. 1679 wird Stralsund in das Hoheitsgebiet des Königreiches Schweden eingegliedert und verbleibt dort 1815, als sie zu Preußen kommt.
Zwar spielt der Fernhandel auch im 17. bis Beginn der 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle für die Stadt. Doch mit dem Niedergang der Hanse verfällt auch die Bedeutung der Stadt – städtebaulich ein Glücksfall, ähnlich wie für die Innenstädte von Wismar und von Lübeck. Trotz der gravierenden Kriegszerstörungen 1944 und 1945. Die mehrheitlich sensiblen Wiederaufbauleistungen führen 2002 dazu, dass Stralsund unter dem Titel „Historische Altstädte Stralsund und Wismar“ zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wird, so dass in nicht allzu weitem räumlichen Abstand eine Triade wunderbar erhaltener Innenstädte zu finden ist, die durch ihre romanischen und vor allem gotischen Backsteinbauten beeindrucken (die Fotografien zu Wismar werden etwas später auf diese Homepage gestellt, die zu Lübeck sind dort bereits zu finden).
So sind die Spaziergänge, eigentlich die Wanderungen durch diese Stadt ein unentwegter Blick- und Gedankenaustausch mit der schier unendlichen Reihung von Giebeln, Backsteinfassaden, mit deren intensivem Farbspiel in Rot, mit den Kirchen und ihren hochgemauerten Gewölben. Backsteingotik als beherrschendes Thema der Stadt. Zumindest als vorherrschendes Angebot an die Besucher*innen. Wenn da nicht auch das städtische Leben wäre, wie es durch die Studierenden der Fachhochschule, durch die Werft und die dortigen Arbeiter*innen sowie durch die vielfältigen, auch kulturellen Alltäglichkeiten einer selbstbewussten mittelgroßen Stadt mit einer bewegenden Geschichte immer wieder aufs Neue geschaffen würde.
Jürgen van Buer