Mezquita-Catedral de Córdoba
wo Staunen nicht gelernt werden muss
Schaut man ins Internet, sind die Einträge unüberschaubar. Die dort abgelegten Bilder beinah ebenso. Macht es daher noch Sinn, sich noch fotografisch mit diesem Bauwerk zu beschäftigen? Vielleicht den Wunsch zu hegen, Bilder zu generieren, die ein wenig anders sind? Und dies in einem eigentlich sehr dunklen Raum, in dem es verboten ist, mit dem Stativ zu fotografieren. Der überall kurz aufleuchtende Blitz der Kameras zerschlägt sowieso das Atmosphärische des Innenraums, das Hinübergleiten von Dunkel in Hell, von helleren Spotlights in Bereiche, die dem Auge beinah undurchdringlich erscheinen und sich dem Erkennen erst langsam öffnen. Warum also fotografieren? Vielleicht, um sich dadurch diesem riesigen Bau vorsichtig zu nähern. Einen Zugang zu finden, einen bewusstseinsmäßigen, vor allem aber auch einen emotionalen. Einen Zugang, der nicht nur den überall vorfindlichen Bildern folgt.
Mezquita-Catedral. Wenn man sagt „Moschee-Kathedrale“, klingt dies irgendwie desillusionierend, beinah beleidigend. Auf jeden Fall auch ein wenig entwürdigend. Profan. Dabei sind die Daten dieser Moschee schnell erzählt: Nach der Reconquista zu einer christlichen Kirche umgewandelt. Dann wurde eine Kathedrale hineingebrochen, so als habe man dieser weltberühmten Moschee ihr Herz zerstören wollen. Und die Daten sind überall im Internet zu finden: 179 m lang, 134 m breit, ca. 24.000 qm Grundfläche. Die 856 Säulen wurden in der Mehrzahl aus Bauten der römischen Zeit genommen. So ergibt sich ein unendlich erscheinender Reichtum. Eine alles schier überflutende Vielfalt von Einzelheiten, die sich erst dann erschließt, wenn man oder frau Zeit mitbringen. Viel Zeit. Dafür, sich vom eigenen Schauen durch den Bau treiben zu lassen. Immer wieder stehen zu bleiben. Sich um sich selbst zu drehen. Und den Wandel der Perspektiven zu genießen. All dies langsam zu inneren Bildern zu formen, die sich dann zu einem je individuellen Gesamteindruck verschmelzen.
Mezquita-Catedral. Wenn man sagt, sie fuße auf einem römischen Tempel, dann auf einer westgotischen Kirche für St. Vinzent von Saragossa, geraten die so unterschiedlichen Dimensionen dieser Gebäude aus dem Blick. Diesen kann man durch eine gläserne Bodenplatte in der Moschee auf die Fundamente der westgotischen christlichen Kirche werfen. Dann aufzuschauen und seinen Blick entlang der schier unendlichen Säulenreihen zu verlieren, macht die Unterschiede, aber auch die Differenz der Zeiten visuell erfahrbar: Bereits 784 mit dem ersten Bau als Moschee begonnen, dann immer wieder erweitert. Ohne Idee, Rhythmus und Gestalt des Gesamtbaus aus dem Auge zu verlieren. 1236 wurde Córdoba von Ferdinand III. von Kastilien zurückerobert. Die größeren christlichen Um- und Einbauten erfolgten erst deutlich später – vor allem der Einbau des spätgotischen Kirchenschiffs ab 1523 mitten in die Moschee hinein. Mit der Vollendung dieses Teilbaus 1607 waren die Veränderungen abgeschlossen. Seitdem ist der Eindruck des Innenraums ein vollständig veränderter. Die Lichtführung ist verändert, die Verteilung von Hell und Dunkel folgt einer geänderten Gesetzmäßigkeit. Es ist, als habe sich ein usurpatorischer Fremdkörper in die bauliche wie künstlerische Homogenität der Moschee hineingefressen. Als fordere er seitdem seine Bedeutsamkeit als nun bestimmendes Merkmal des Gesamtbaus. Es ist ein unübersehbarer, ein gleichwohl gescheiterter Anspruch. Beinah verzweifelt muten dann auch nachträgliche Versuche an, diese beiden so kontrastierenden architektonischen Welten in einem gemeinsamen gedanklichen Entwurf zu vereinen – die religiöse Welt der Moschee als flachem, durch eng stehende Säulen gegliederten, bewusst meditativ gestalteten Raum auf der einen Seite und die auf unmittelbare Beeindruckung ausgerichtete Welt der sich weit nach oben öffnenden, Licht durchfluteten christlichen Kathedrale auf der anderen Seite.
Mezquita-Catedral. Beinah unausweichlich konzentrieren sich Blick, Denken und Fühlen auf die Moschee mit der in ihre Mitte hinein gebrochenen Kathedrale. Dabei finden die ersten Kontakte entlang der hohen Außenmauern statt, entlang ihrem warmen Glanz, entlang den wunderbar fein ziselierten Fenstern und durch die prächtigen Tore. Durch den Torre de Alminar auch, dem hoch aufragenden ehemaligen Minarett, das Ende des 16. Jahrhunderts durch die jetzt die Stadt beherrschenden Glockenturm ummantelt wurde. Der Eintritt in den geheiligten Raum der ehemaligen Moschee erfolgt über den Orangenhof. Er wurde bereits Ende des 10. Jahrhunderts in seiner heutigen Ausdehnung als Raum für die Säuberung der Betenden geschaffen. Die Pracht der Orangenbäume spendet Schatten in der Hitze des Mittags. Er bricht aber auch den Blick auf die Längsseite der Moschee, die erst nach der christlichen Erorberung geschlossen wurde. So muss man sich den einstigen Eindruck des riesigen, offen gestalteten und zur Stadt hin mit hohem Mauern und Innenarkaden geschlossenen Einstimmungsraumes mit dem auch visuell freien Übergang in den Bereich des Gebetes erst mühsam zurückerobern. Da hilft es, wenn man oder frau ein solches Ensemble schon einmal erleben durften – z. B. in Gestalt der Hauptmoschee von Aleppo (Syrien). Einer Moschee, die heute als Folge des Bürgerkrieg genannten Krieges weitgehend in Trümmern liegt.
Mezquita-Catedral. Die Art und Weise, sich diesem Weltkulturerbe zu nähern und sich in ihm zu bewegen, kann sich schnell als weitgehend vorgeprägt erweisen. Geprägt durch die vielen Bilder im Internet, in Reiseführen, durch die übermittelten Vorstellungen zur Geschichte dieses religiösen Bauwerks. Und zunehmend wohl auch durch das, was wir im so genannten christlichen Europa über die arabische Welt und deren religiöse Verfasstheit zu wissen glauben. Und doch – gerade die Moschee-Kathedrale von Córdoba ermöglicht auch ganz eigene Zugänge. Zugänge, in denen Wissen und Fühlen über individuelles visuelles Nachspüren zusammenfinden können.