Semana Santa – die Karfreitagsprozession
Die Karwoche. Wie Übersetzungen von einer Sprache in eine andere doch den Klang verändern. Aber nicht nur den Klang. Das Althochdeutsche „Kara“, die Klage, die Trauer mit dem liturgischen Höhepunkt des Karfreitags, klingt zurückgezogen. Nicht umsonst wird der Karfreitag der stille Feiertag genannt. Eigentlich, vielleicht nur noch ehemals, ein strenger Abstinenztag. Es ist der kirchliche Feiertag, an dem keine heilige Messe gefeiert, kein Sakrament gegeben wird. Es ist eben der stille Feiertag.
Wie anders die Semana Santa. Sie reicht vom Palmsonntag bis Ostersonntag. Auch der Freitag dieser Woche ist nicht der Freitag der Trauer; er ist der Viernes Santo, der heilige Freitag. Der Name folgt der klassischen katholischen Liturgie, der Hebdomada sancta. Und doch ist diese Woche in ganz Spanien so anders. So besonders spanisch, wie es den Dazu-Kommenden mit ihren inneren Bildern über das erscheint, was Spanien ausmache. Eben was spanisch sei.
Die ganze Woche über finden Prozessionen statt. In beinah allen Dörfern und Städten. Vor allem in Andalusien wird die Semana Santa gelebt. Nicht still und zurückgezogen. Es ist ein Fest. Eine festliche Woche. Getragen von einem sehr besonderen Gefühl. Schaugestellt zwischen Besinnlichkeit und anspringenden Farben von Rot bis Blau. Mit der Krönung der durch die Straßen getragenen Prozessionsfiguren. Besonders der Virgin de la Esperanza Macarena. Schwer sind sie. Diese Figuren. Die Träger, die Costaleros, setzen Schritt vor Schritt. Im schleppenden, tausendfach geübten Rhythmus. Die Blechmusik verschärft die Dissonanzen zwischen der Pracht der Figuren und dem schweren Schritt der Träger.Die Zuschauer kommen zu Hauf. Sie werden still, wenn der Zug der Büßer vorüberzieht. Der Nazarenos mit ihren so bedrohlich wirkenden Spitzhauben, oder der Penitentes, der Büßer mit dem Kreuz über der Schulter. Es ist ein grandioses Schaupiel. Auch das spärliche Licht des späten Abends, der frühen Nacht, ist ein Teil einer großen Inszenierung. Wenn die schweren Schatten der Menschenfiguren sich in der Dunkelheit der kaum beleuchteten Straßen auflösen.
Alles ein Schaupiel. Ein Schauspiel nur? Inszeniert für die Gegenwart mit Erinnerungen an eine lange Geschichte, in der die Andersgläubigen die Ungläubigen waren, die cathari, die Ketzer. Die es zu bekämpfen galt. Auch auszubrennen. Die spanische Vergangenheit Spaniens ist eben auch die Geschichte der Reconquista und der Ausbreitung der Heiligen Inquisition. Wenngleich die Verfolgung von Ketzern schon vorher auf eine lange Geschichte zurückblickte. Aber das emotional-religiöse Zusammenspiel von rechter Gläubigkeit und trauernder Freude, von freudigem Leiden mit dem erwartungsvollen Blick auf die Auferstehung Christi, auf den Ostersonntag. Den Ausgangs-, den Ankerpunkt des Kirchenjahres.
Also doch mehr als nur ein Schauspiel? Oder beides – Schauspiel und tiefe Empfindung des Geborgenseins in dem ‚rechten‘ Glauben zugleich? Wenn es diesen überhaupt geben mag. Angesichts der Vielfalt dessen, was und wie Menschen glauben, wohl kaum. Auf jeden Fall ist es ein Spiel von Außen und Innen. Des Innen als Mitglied der Prozession und des Außen als Mitglied puren Zu- und Hinschauens. Aber auch des Innen als dem unter der Haube Verborgenen und des Außen als dem Jedermann Sichtbaren in der Menge. Zwischen Beidem, dem Innen und dem Außen, verlaufen viele Grenzen. Brüchige.
Schleppender Schritt. Schreiende Blechmusik. Die lebensgroße Inszenierung des Leidens Christi auf den Pasos, den großen Plattformen. Die Farben springen in die Dunkelheit, in das gebrochene Licht der Straßen. Es ist, als sollte Alles den Bauch treffen. Eben tiefer als das Gefühl einer belanglosen Teilnahme an einer Inszenierung. Also doch mehr als ein Schauspiel?
Jürgen van Buer
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