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Buchflyer des Logos Verlag zum Buch

Inhaltsverzeichnis des Buches

Doppelseite aus dem Buch

Rezension in der Zeitschrift Spiegelungen von Dr. Lilia Antipow, 2020

Rezension von Dr. Harald Roth, Direktor des Deutschen Kulturformus Östliches Europa, Potsdam, 2018

Rezension durch Prof. Peter Badel von der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg, 2018


Buchflyer des Logos Verlags zum Buch

Inhaltsverzeichnis des Buches

Doppelseite aus dem Buch
Jürgen van Buer & Josef Balazs: „Der befestigte Glaube – Kirchenburgen in Siebenbürgen“. Logos Verlag Berlin

Rezension von Dr. Julia Antipow in der Zeitschrift Spiegelungen , Ausgabe 2/2020

Jürgen van Buer, Josef Balazs (Hsg.): Der befestigte Glaube. Kirchenburgen in Siebenbürgen. Berlin: LOGOS-Verlag 2018. 320 S.
Von Dr. Lilia Antipow

Ein Fotograf ist immer ein Suchender und ein Wanderer. Der Fotograf Jürgen van Buer, bis 2016 Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik an der Humboldt-Universität Berlin, kam dreimal – 2014, 2015 und 2017 – in das ländliche Siebenbürgen. 260 seiner künstlerisch höchst beachtenswerten Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Kirchenburgen, die dabei entstanden, enthält der vorliegende Band, den er zusammen mit dem Autor und Ausstellungskurator Josef Balazs herausgegeben hat.

Das monumentale Werk setzt sich aus drei Abschnitten zusammen: „Nach-Spüren“, „Nach-Schauen“ und „Nach-Denken“. Der erste Teil „Nach-Spüren“ beginnt mit einem Beitrag von Josef Balazs, der einem vergessenen Kapitel aus der Vergangenheit Siebenbürgens, aus der Zeit vor der Entstehung der modernen Historiografie nachgeht: der mythischen Erzählung von historischen Zusammenhängen. Es ist die Legende vom Rattenfänger von Hameln mit ihrem „Transsilvania-Zusatz“ (S. 11), der die Abstammung der Siebenbürger Sachsen auf die Hamelner Kinder zurückführte. Im darauf folgenden Beitrag ordnet Konrad Gündisch die sächsischen Kirchenburgen in den Kontext ihrer Entstehungszeit ein und zeigt dabei, wie weit ihre Geschichte von der außenpolitischen Entwicklung Siebenbürgens, insbesondere von den Kriegen gegen die tatarischen Khanate und das Osmanische Reich, geprägt wurde. Den Hauptteil mit dem Titel „Nach-Schauen“ ergeben die Bilder, die in zwölf Episoden zusammengefasst sind, denen je ein Text von Jürgen van Buer vorangestellt ist. Im dritten und letzten Teil „Nach-Denken“ setzen sich Andreas Kohring, Thomas Düllo und van Buer aus kultur- und fotografietheoretischer Perspektive mit der Fotografie als visueller Konstruktion der Wirklichkeit und ihrer Objektivität auseinander. Ein sorgfältig erstelltes Register der Fotografien ergänzt den Band.

Van Buer und Balazs bieten mit ihrem Buchprojekt weder eine vollständige Geschichte der Kirchenburgen noch wollen sie kollektive Mythen, Gemeinschafts- und Geschichtskonzepte bedienen oder einen Beitrag zur Kunstgeschichte der Kirchenburgen leisten und schon gar nicht nostalgische Gefühle wecken. Stattdessen wagen sie einen Blick auf das architektonische Erbe der Siebenbürger Sachsen, der bewusst fragmentarisch bleiben und Episoden exemplarisch ins Auge fassen soll. Dabei wird erstmals der Versuch unternommen, über die Kirchenburgen in der Sprache der aktuellen Fotografie und der Historiografie, der Kunst- und der Fotogeschichte zu sprechen. Herausgekommen ist eine Diskursgeschichte, eine Dokumentation, die das Sprechen über die Kirchenburgen, die verschiedenen Erzähl- und Interpretationsweisen über sie zusammenführt, wobei sie die „subjektive“ Sicht des Fotografen mit der „objektiven“ Sicht des Historikers konfrontiert. Sowohl die Fotografien als auch die Begleittexte schärfen die Einsicht, dass die Kirchenburgen – wie die Geschichte der Siebenbürger Sachsen insgesamt – unterschiedlich beschrieben und präsentiert werden können. Darin liegt die besondere Faszination dieses Vorhabens, die sich aus dem Zusammenspiel von Distanz und Nähe zum historischen und ästhetischen Objekt ergibt und es gestattet, dessen Vielseitigkeit und Mehrdeutigkeit sichtbar zu machen. Um dabei einmal mehr zu demonstrieren: Jedes geschichtliche Erzählen und visuelles Zeigen bleibt fragil und fraglich.

Die die Bilder begleitenden Texte sind Teil des Diskurses. Sie bemühen sich, die Fotografien – mal auf eine narrativ-performative, mal auf eine fachhistorische Art – in ihren geschichtlichen und kunstgeschichtlichen Kontext einzuordnen; werfen ihren eigenen Blick auf die Kirchenburgen und ihre Geschichte; und argumentieren zugleich gegen deren Indienstnahme in Vergangenheit und Gegenwart. So zeichnet Balazs nach, wie eine mythische Sage in Anbetracht der Professionalisierung der Geschichtswissenschaft ihren historischen Erklärungswert verlor. Gündisch setzt sich mit dem Kirchenburg-Mythos als Teil einer heroischen Erinnerungskultur der Siebenbürger Sachsen auseinander und hält der geschichtlichen Mythenbildung entgegen: Was von den Kirchenburgen als schützende Festungen blieb, „wenn größere und organisierte osmanische Truppenverbände anrückten“ (S. 24), zeigt, dass sie seit Beginn des 18. Jahrhunderts jede Schutzfunktion verloren, jedoch als Denkmal und als ein „sichtbarstes ‚Symbol sächsischer Existenz‘ in Siebenbürgen“ (S. 24) die Zeit überdauerten.

Eine eigene Annäherungsweise an die Kirchenburgen findet man in den Aufnahmen von Jürgen van Buer, in erster Linie in seinen Architekturfotografien. Die Kirchenburgen interessieren ihn weniger als historische und kirchliche Objekte, sehr viel mehr als ästhetische Phänomene, die zum Gegenstand seiner fotografischen Artefakte werden. Van Buer ist kein Erzähler im herkömmlichen Sinne, dem es um die Vermittlung eines bestimmten Bildes der Realität, um ihre „objektive“ Abbildung geht. Seine Bilder schaffen eine eigene ästhetische Welt, unabhängig von der Wirklichkeit visualisieren sie lediglich und abstrahieren von ihr zugleich. Die Realität muss und will auf diesen Aufnahmen nicht wiedererkennbar sein. Auch eine „Botschaft“ soll durch sie nicht vermittelt werden: Der Betrachter allein soll entscheiden, was er auf dem Bild sieht, was er sehen will, welche Geschichte das Bild ihm „erzählt“ oder „erzählen“ soll. Dass die sinnproduzierende Leistung der Fotografie nur so gedacht werden kann, verdeutlichen van Buer selbst sowie Kohring und Düllo in ihren Beiträgen im dritten Teil des Bandes „Nach-Denken“. Sie sensibilisieren für das Verständnis dieser Fotografien als eines medialen Raums, in dem ihre Bedeutung aus der situationsabhängigen Betrachtung, aus dem Austausch zwischen dem Urheber und dem Rezipienten, dem Fotografen und dem Betrachter entsteht.

Dieser soll selbst entscheiden, wie er die Bilder sehen will: als naturalistisches Artefakt oder als ein abstraktes Werk. Lässt man sich auf den abstrakten Betrachtungscode ein, so werden die ästhetischen Objekte von ihren „realen“ Pendants abgelöst, wird das Bild zum Spiel seiner Einzelelemente, der Elemente der Burggeometrie. Dem betrachtenden Auge bleibt es verwehrt, zur Wirklichkeit „zurückzuwandern“. Vor allem van Buers Architekturfotografien – die wenigen Portraits sowie die Natur- und Landschaftsaufnahmen sind in dieser Hinsicht eine Ausnahme – sind abstrakte Bild-Konstruktionen. Abstrahiert wird von der Realität und jeglicher Gegenständlichkeit. Im Vordergrund steht das Bemühen um die Vollkommenheit der Form und ihre strikte Organisation. Die fast zwanghafte „Ordnung“, die „Dynamik der Perspektive“, die strenge Struktur der Kirchenburg – darauf kommt es bei diesen Fotografien an, wie auch die Herausgeber in ihrem Vorwort unterstreichen (S. 7). Van Buers Bilder wirken wie perfekte Arrangements, wozu die Leere und die Sterilität der Bildräume zusätzlich beitragen. Die vertikalen, horizontalen und schrägen Linien werden zum tragenden Element dieser abstrakten Konstruktionen.

Ein weiterer wichtiger Begriff ist der der „Grenze“. Den leeren Bildflächen werden durch Linien strenge Grenzen gesetzt. Die Objekte sind eingegrenzt und in ein Gefüge aus Linien und Flächen „eingezwängt“. Durch die Bildkomposition, durch ein Schattenspiel von scharfen Schwarz-Weiß-Kontrastierungen und gebrochene Linienführung entsteht eine monumentale Bildgeometrie. Die Dynamik der Linie richtet sich gegen die Statik und die gewaltige Wucht des archaischen Gesteins, verläuft sich in den verwinkelten Ecken dieser Kolossalobjekte und zerschellt an ihrer Unverrückbarkeit und manifesten Präsenz. Dieses vom aufnehmenden Auge bewusst oder zufällig erzeugte Zusammenspiel der Formen verleiht den Fotografien ihre hervorstechende Dramatik. Die gleiche Wirkung kann bereits das Material des Objekts durch die ihm eigene Ausdrucksstärke, durch seine Haptik erzeugen: altes Mauergestein, abbröckelnder Wandstuck, faulendes Holz – durch Groß- und Halbgroßaufnahmen werden sie an den Betrachter herangezoomt. Die Objekte auf den Bildern sind „entgegenständlicht“, ihrer materiellen Substanz beraubt, auf ein visuelles Zeichen reduziert. Es sind auch keine Objekte als Ganzes, sondern Teile, Fragmente, „Reste“, wie van Buer selbst sie nennt (S. 75), unter anderem auf Elemente der alten Ausstattung der Innenräume der Kirchenburgen, der traditionellen Stickereien, auf die Buchstaben alter Kirchenbücher verweisend. Selbst wenn ein „ganzes“ Objekt zu sehen ist, so ist seine Präsenz kein Selbstzweck, sondern es ist Teil eines formalen Arrangements. Dabei erscheint das ästhetische Objekt nicht in stilisierter Form, sondern bleibt dem realen Objekt letzten Endes doch verbunden.

Aufgrund der Entgegenständlichung der Objekte und ihres abstrakten Charakters erscheint die Welt der Fotografien von Jürgen van Buer, ob gewollt oder nicht, als eine Welt ohne Dramen, ohne Tragödien, aber auch ohne Lyrik. Visuelle Dynamik und Dramatik scheinen den Fotografen mehr zu interessieren als die Erzeugung von subtilen Stimmungen beim Betrachter. Mit seinen Kirchenburgen kann man sich nur rational auseinandersetzen: Der Fotograf bietet dem Betrachter keine Möglichkeit, sich in die Welt der Kirchenburgen „hineinzufühlen“.

Wenn man Bildern doch einen Narrationscharakter unterstellen, ihre Visualität ins Literarische überführen will, so erzählen sie dem Betrachter die Geschichte einer Abwesenheit. Traditionell bildeten die Kirchenburgen als sakrale Räume und die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft ein Gesamtkunstwerk, meinte Josef Balazs in einem seiner früheren Texte. Heute befindet sich diese Gemeinschaft im Zustand der Auflösung, sie ist beinahe verschwunden. Doch die Kirchenburgen, ihre Reste und Spuren bleiben – sie werden zu visuellen Metonymien des einstigen Gesamtkunstwerks, die nicht zuletzt durch die Leere auf das einst Vorhandene verweisen, auf Menschen als Teile der religiösen Gemeinschaft, auf Rituale oder Objekte (vgl. S. 306). Das Erzählen über die Kirchenburgen ist dabei auch ein Erzählen über Siebenbürgen.

Dr. Lilia Antipow

in der Zeitschrift Spiegelungen. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet, Ausgabe 2/2020

Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas
Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e. V. an der Ludwig-Maximilians-Universität München.


Die Rezension von Dr. Lilia Antipow ist ebenso veröffentlicht im HDO journal, Sonderheft 2021 „50 Jahre Haus des Deutschen Ostens München“, in der Rubrik: Bücher im Gespräch, dort unter „Lilia Antipow – Visualisierung der Abwewsenheit“ (S. 123/124).
Ausgewählte Fotos von Jürgen van Buer zu Kirchenburgen in Siebenbürgen sind zu finden unter dem Titel „Das Foto-Artefakt Kirchenburg _Jürgen van Buer unterwegs in Siebenbürgen“, S. 117-122 (Rubrik: Bücher im Gespräch, dort unter „Lilia Antipow – Visualisierung der Abwesenheit“ (S. 123/124).


Rezension von Dr. Harald Roth, Direktor des Deutschen Kulturforums Östliches Europa, Potsdam

Neue Blicke auf die sächsischen Kirchenburgen

Jürgen van Buers Fotografien aus Siebenbürgen

Die Wiederentdeckung Siebenbürgens und vor allem seiner Kirchenburgenlandschaft in den letzten rund zwei Jahrzehnten ist inzwischen keine Nachricht mehr wert. Und in dem Maße, wie dieser vormals fast vergessene Prototyp eines Paradieses wieder ins Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit rückte, in dem Maße nahm auch die Zahl der Bücher über die Kirchenburgen zu: touristische Augenöffner, wissenschaftliche Grundlagenwerke, Stimmungs- und Untergangsverarbeitungsbücher, Fotografenbände ganz unterschiedlicher Ausrichtung. Selbst die Fachleute verloren irgendwann den Überblick.

Nun kommt ein neuer Titel auf den Markt: „Der befestigte Glaube“ zeigt die Kirchenburgen so, wie Jürgen van Buer sie sieht. Es ist der Blick eines nebenamtlichen Profi-Fotografen, denn eigentlich ist van Buer kürzlich emeritierter Professor für Wirtschaftspädagogik der Humboldt-Universität Berlin. Als Fotograf stellt er jedoch bereits seit zwanzig Jahren aus, wobei er Siebenbürgen für sich erst vor wenigen Jahren entdeckt hat. Um dann bei zwei offenbar recht intensiven Reisen 2015 und 2017 das Bildmaterial entstehen zu lassen, das in diesen Band Eingang gefunden hat. Es ist ein unüblicher Blick, weswegen sich auch der Band deutlich von den zahlreichen anderen zum Thema abhebt. Es sind Schwarz-Weiß-Aufnahmen, bei denen Licht und Schatten neben den Objekten selbst die Hauptrolle spielen. Wohltuend wirkt gleich zu Beginn, dass hier keinesfalls versucht wird, einen weiteren Beitrag zur „Elendsfotografie“ zu leisten, die so en vogue und die man inzwischen mehr als leid ist. Im Gegenteil, hier geht es um die Ästhetik der historischen Bauwerke, immer im Bestreben, die Schönheit der Form, die historische Eleganz wirken zu lassen. Selbst die wenigen Bilder, auf denen der Verfall nicht übersehen werden kann, rufen kein Endzeitgefühl hervor. Sie zeigen vielmehr, dass selbst die Endhaftigkeit des Irdischen wohlproportioniert ist, ja sogar schön sein kann. Die Aufnahmen finden sich im „Nach-Schauen“ benannten Hauptteil des Buches, den van Buer in zwölf „Bildepisoden“ aufteilt: Außenhaut, Innenhaut, Kirchenbänke, Emporen, Fundsachen, Erinnerung sind einige der die Gliederung begleitenden Begriffe.

Im abschließenden Abschnitt „Nach-Denken“ befassen sich drei Autoren aus theoretischer Perspektive mit Fragen der Fotografie: Andreas Kohring stellt als Historiker die Narrationsfähigkeit von Fotografien in Frage, der Kulturwissenschaftler Thomas Düllo befasst sich mit der Kommunikationsfähigkeit von Fotografien und Jürgen van Buer versucht zu erklären, „Warum man nicht neben oder hinter ein Bild schauen kann“. Doch blicken wir noch etwas eingehender auf den ersten Abschnitt „Nach-Spüren“. Als Siebenbürgen-Fachmann konnte Jürgen van Buer für dieses Buch Josef Balazs gewinnen, der ihm schließlich auch als Mit-Herausgeber zur Seite stand. Balazs stellt kundig „historische und geographische Merkwürdigkeiten“ über Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen zusammen und zeichnet die Genese der Legende von den Hamelner Kindern nach und wie der Irrtum hinzugedichtet wurde, dass sie in Siebenbürgen aus der Erde wieder herausgekommen seien. Den historischen Kontext für die Entstehung der Kirchenburgenlandschaft stellt anschließend Konrad Gündisch her, wobei sein Beitrag eigentlich mehr, nämlich eine anschauliche Geschichte des Wehrwesens der Sachsen seit der mittelalterlichen Ansiedlung bis in die Frühe Neuzeit bietet.

Dennoch gibt es ein Monitum, das unerwähnt bleiben könnte, wenn der Titel nicht das Versprechen gäbe, den „befestigten Glauben“ zu thematisieren. Es fehlt jedoch jede Bezugnahme auf das Hauptwort des Titels, auf den Glauben, um den es gehen soll, selbst in der Bildepisode 6 „Des Glaubens Innenraum“. Aber welcher Glauben? Der christliche, soviel können wir mehr indirekt erschließen – aber sonst? Muss da nicht etwas mehr dazu gesagt werden, wenn man den Glauben oben drüberschreibt? Was ist das, Glaube? Westkirchlicher Glaube an der äußersten Grenze zur Ostkirche, beide expansiv und bald bedroht vom Islam? Dann reformatorischer und bald explizit lutherischer Glaube in Abgrenzung zu zahlreichen anderen Konfessionen im Rahmen der lange Zeit größten europäischen Vielfalt überhaupt? Schließlich Glaube an sich im Kontrast zu atheistischer Ideologie? Man kann natürlich auch nur die Bauwerke und die Ästhetik der Architektur oder der Landschaft sehen, wie das heute oft geschieht. Aber dann darf der Glaube nicht als das, was es zu befestigen galt (nur durch steinerne Wehrhaftigkeit?), so prominent im Titel stehen. So aber fehlt dann doch der zentrale Inhalt – der Schlussstein, um in der Sprache der Baugeschichte zu bleiben. Der Qualität der Bilder und dem neuen, frischen Blick tut dies freilich keinen Abbruch.

Dr. Harald Roth,

Direktor des Deutschen Kulturforum Östliches Europa, Potsdam

veröffentlich in: Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (ADZ Bukarest),  Freitag, 13. Juli 2018



Rezension durch Prof. Peter Badel von der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg

Das Buch von Jürgen van Buer und Josef Balazs über die Kirchenburgen in Siebenbürgen fasziniert seine Betrachter*innen mit herausragender zeitloser Schwarz-Weiß-Fotografie. Denn vor dem Lesen kommt das Blättern – und neben den erwartbaren Ansichten der Kirchenbauten selbst in ihrem dörflichen Umfeld bestechen vor allen zahlreiche Detailaufnahmen, deren Materialität und deren im Augenblick festgehaltenen Gebrauchsspuren. Die ca. 260 schwarz-weiß Fotografien verbinden den historischen Gegenstand mit der digitalen Moderne, denn die Fotografien sind meisterlich elektronisch optimiert und auch den Druck kann man nur als sehr gut bezeichnen.

Aufgrund seines Formates (26,5×27,5 cm) und seiner 319 Seiten liegt dieses Buch übrigens schwer in der Hand. Gleichwohl stimuliert bereits der Einband mit der Fotografie der Kirchenburg von Wurmloch (Weltkulturerbe) dazu, in dieses Buch hineinzuschauen, das mit seiner gelungenen Mischung aus Fotografie und Text, aus Information und Atmosphärischem viele Interessen optimal bedient.

Aufgebaut ist das Buch aus drei Teilen, die mit den Tätigkeiten „Spüren“, „Schauen“ und „Denken“ überschrieben sind und ganz unterschiedliche Sichtweisen auf das behandelte Phänomen der Siebenbürgischen Kirchenburgen eröffnen:

Im Teil I „Nach-Spüren“ sind je ein Text von Josef Balazs und Konrad Gündisch zu finden. Der erstere geht einer heutzutage kurios anmutenden Legende nach und zeigt deren Gang durch die Geschichte in ihrer Verschriftlichung. Es geht dabei um die Frage, was der Rattenfänger von Hameln mit der Besiedlung von Siebenbürgen zu tun hat. Wie diese Spurensuche ausgeht, sei an dieser Stelle nicht verraten. Konrad Gündisch skizziert die Geschichte der Kirchenburgen in Siebenbürgen zwischen dem 13. Jahrhundert und dem Beginn des 18. Jahrhunderts, d.h. bis zum Ende der Gefahr der Türkeneinfälle in diese Region. Dieser Text macht unmittelbar einsichtig, warum es dem letztlich eng begrenzten Raum von Siebenbürgen ca. 360 Kirchenburgen gegeben hat, von denen heute noch ca. 180 stehen und von denen Jürgen van Buer 39 fotografiert hat.

Im Teil III „Nach-Denken“ finden sich drei Texte, die über den Umgang des Betrachtens von Fotografien reflektieren: Andreas Kohring skizziert aus geschichtswissenschaftlicher Sicht, warum Fotografien selbst noch keine Geschichten erzählen können, sondern die Betrachter*innen dies selbst tun müssen. Thomas Düllo schreibt darüber, dass Fotografien Denkräume öffnen, um kommunikativ Kontext zu verhandeln. Und Jürgen van Buer geht der Frage der Fragmentierung von Welt durch Fotografieren nach.

Der Teil II „Nach-Schauen“ ist der umfangreichste in diesem Buch; er umfasst die ca. 260 schwarzweiß-Fotografien von Jürgen van Buer zu ausgewählten Siebenbürgischen Kirchenburgen und seine kurzen, narrativ gehaltenen Einleitungen zu den 12 Bildepisoden, in die seine Bilder gegliedert sind. Ganz bewusst sind die Fotografien nicht entlang der alphabetischen Folge der Namen der Kirchenburgen geordnet (die alphabetische Zuordnung der Bilder ist im Register zu finden). Stattdessen führen die Bildepisoden zu einer unmittelbaren Begegnung mit den Kirchenburgen von deren i.d.R. dörflichem Kontext bis hinein in die Kirchen und von dort auf die Emporen, die auch „den Rückzug der Zeit“ markieren, wie Jürgen van Buer dies in der Bildepisode 8 nennt.

Die Bildepisoden 9 bis 11 wenden sich fotografisch stärker Einzelheiten zu, z.B. den „Fundsachen und Schaustücken“. Den Abschluss markieren die Begriffe „Erinnerung, Vergewisserung, Weitergabe“ – damit stellt die Bildepisode 12 fotografisch die Frage nach der Zukunft der Siebenbürgischen Kirchenburgen angesichts der Tatsache, dass die Siebenbürger Sachsen, deren Vorfahren diese Monumente erbaut haben, zu einer Minorität im heutigen Rumänien geworden sind.

Nun zu den Fotografien selbst, die das Zentrum dieses Bandes darstellen. In der Einleitung schreiben die beiden Herausgeber: „Die Fotografien sind bewusst in schwarz-weiß gehalten. Stärker, als es gemeinhin in farbigen Bildern möglich erscheint, lenkt diese Eingrenzung den Blick auf die Ordnung, auf die Dynamik der Perspektive. Und auf die bildliche Staffelung von Wehrmauer und Kirche, auf die Staffelung der Bänke im Kircheninneren etc.. Letztlich auf die Struktur, die eine Kirchenburg zu einer solchen macht“ (S. 7). Und diesem damit formulierten Anspruch, werden die Fotografien in jeder Hinsicht gerecht. Ein so komplexes Phänomen wie die Kirchenburgen in Siebenbürgen mit ihren noch ca. 180 besuchbaren Monumenten fotografisch darzustellen, eröffnet eine schier unerschöpfliche Vielfalt von Möglichkeiten.

Jürgen van Buer entscheidet sich für den Weg der visuellen Begegnung – subjektiv, teils dramatisch, teils fein ziseliert, teils stark rhythmisch gegliedert, letztlich immer unter Benutzung von impliziten Symbolen, beispielsweise zur dörflichen Siedlungsstruktur, zur Wehrhaftigkeit der Kirchen selbst, zur Leere der Kircheninneren, zur tiefen Gläubigkeit der (ehemaligen) Dorfbewohner*innen. Dabei achtet der Fotograf darauf, die Konsistenz seiner Linienführung im Bild zu erhalten, das Spiel von Hell und Dunkel in einer erkennbaren Ordnung zu halten, den Fokus des Bildes als innere Struktur des Gesamtbildes erlebbar zu machen. In der Folge variiert das äußere Format der präsentierten Fotografien stark, nicht nur im Wechsel von Hoch- und Querformat, sondern auch innerhalb der beiden Formate. Beim Fotografieren nutzte Jürgen van Buer ausschließlich natürliche bzw. vorhandene Beleuchtung, formte sie oft zu einem lebendigen Bestandteil des Bildes selbst. Ein Stativ verwendete er nicht, blieb somit unmittelbar und nahm lieber die mitunter erkennbare Artefakt-Struktur des Aufnahmechips in Kauf, die sich bei schwacher Beleuchtung unweigerlich einstellt.

Durch die Gliederung entlang von Bildepisoden bleibt der fotografische Teil spannend, birgt Überraschungen, regt zum Vorwärts- und Rückwärtsblättern an, ermöglicht Vergleiche zwischen den jeweils dargestellten Räumen und Phänomenen über die Kirchenburgen hinweg und öffnet den Betrachter*innen dadurch ein Verständnis der Vielfalt und des Reichtums dieser Architektur.

Die Texte vervollständigen dieses sehr empfehlenswerte Buch, das sehr nachvollziehbar mit „Der befestigte Glaube“ überschrieben ist – ihre Lektüre vervollständigt die äußerst anregende, teils auch aufregende, visuelle Begegnung mit den Kirchenburgen in Siebenbürgen.

Prof. Peter Badel
Kameramann und Hochschullehrer
Studiengang Cinematography
Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF

Potsdam-Babelsberg, 4. April 2018


Kirchenburgen in Siebenbürgen – Das Buch